Feministische Philosophie

Die feministische Philosophie hat ihren Ausgangspunkt in der  Forderung nach Gleichberechtigung der Frauen in allen Lebensbereichen. Diese wurde von der ersten Frauenbewegung im 19. und Anfang des 20. Jahrhundert mit dem Ziel aufgestellt, gleiche Rechte, Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen für Frauen zu schaffen und vor allem die Einführung des Wahlrechts für die Frauen durchzusetzen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Forderung nach der rechtlichen Gleichstellung der Frau von den ersten Vertreterinnen der modernen Frauenbewegung wiederaufgegriffen. Seit diesem Zeitpunkt werden auch verstärkt philosophische Ansätze mit feministischem Hintergrund entwickelt.
Eine der frühesten Repräsentantinnen dieser zweiten Frauenbewegung war Simone de Beauvoir, die 1949 ihre Untersuchung Das andere Geschlecht veröffentlichte. Darin ruft sie die Frauen auf, sich nicht mehr mit ihrem Status als Andere, als Ergänzung des Mannes zufriedenzugeben, sondern ihre Gleichstellung in der Gesellschaft zu beanspruchen.

Die ersten Publikationen zur feministischen Philosophie entstanden aus der modernen Frauenbewegung der frühen siebziger Jahren und verarbeiteten vor allem die aktuellen Themen der feministischen Theoriebildung. Diese rückte spezifisch weibliche Erfahrungen in den Vordergrund und befasste sich mit Abtreibung, Pornographie, ungleichen Arbeitsbedingungen, Ehe und Mutterschaft. Das Ziel dieser Untersuchungen war es, sichtbar zu machen, dass die bisher nur von Männern aufgestellten Theorien über Frauen und Weiblichkeit, nicht in der Lage sind, deren Erfahrungen adäquat zu erfassen. Ausgangspunkt der Feministinnen war ihr neu entwickeltes Bewusstsein, das ihren Blick auf die eigene Realität radikal veränderte. Thematisch setzten sie sich ausserdem mit der Aufarbeitung und Neuinterpretation der Philosophiegeschichte, unter besonderer Berücksichtigung des Geschlechts und mit den Aussagen über Frauen auseinander.

Am Anfang stand die wirtschaftliche und soziale Diskriminierung im Vordergrund der Untersuchungen. Nun befassten sich die Feministinnen stärker mit den HintergrŸnden der Geschlechterorganisation in Literatur, Wissenschaft und Philosophie. Auf dieser Grundlage entstand die Diskussion der Geschlechterdifferenz, welche die Beziehungen zwischen den Geschlechtern thematisiert. Ihre Voraussetzung ist die Unterscheidung zwischen dem natürlichen oder biologischen Geschlecht sex und dem sozialen Geschlecht gender.
Zu den bekanntesten Vertreterinnen der Theorie der Geschlechterdifferenz gehören die poststrukturalistischen französischen Philosophinnen Hélène Cixous, Julia Kristeva und Luce Irigaray. Sie heben auf die Ausbildung einer weiblichen Subjektivität und die Wahrnehmung weiblicher Sexualität ab. In ihren Ansätzen entwickeln sie ein eigenes weibliches Schreiben oder Sprechen und fordern eine Revolution der symbolischen Ordnung des Patriarchats. Dabei ist es ihr Ziel, das Besondere sichtbar zu machen, das die Frau vom Mann unterscheidet und durch die Aufhebung des patriarchalen dualistischen Denkens die Unterschiede zwischen den Geschlechtern neu zu bewerten.

Grundsätzlich hat die feministische Philosophie keinen einheitlichen Ausgangspunkt vorzuweisen. Sie besitzt kein von allen akzeptiertes Dogma und will auch keines entwickeln. Es ist nicht ihr Anspruch, eine neue Objektivität oder Neutralität zu konzipieren, um eine den Frauen eigene Wahrheit festzuschreiben. Die feministische Philosophie besteht vielmehr aus einer Reihe sehr unterschiedlicher Stimmen, die nicht immer im Konsens stehen. Gerade in der Diskontinuität ihres Ansatzes sehen die Feministinnen den Unterschied ihrer Philosophie zum männlich geprägten traditionellen Kanon. Trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte und Zielsetzungen liegt eine Gemeinsamkeit des feministischen Denkens darin, dass es notwendig kritisch ist. Unter diesem Vorzeichen befasst sich die feministische Philosophie sowohl mit den Gegebenheiten der patriarchalen Gesellschaft, als auch mit der traditionellen Philosophie.

Die feministische Philosophie verfügt über zwei verschiedene Quellen, die moderne Frauenbewegung, mit der daraus entstandenen Theoriebildung und die traditionelle Philosophie. Aus der Verbindung beider können die Philosophinnen ihre Erfahrungen aus der politischen Praxis in ihre wissenschaftliche Arbeit integrieren und so den patriarchalen und androzentrischen Charakter der Philosophie sichtbar machen.
Das Anliegen der feministischen Philosophie ist die Thematisierung der Erfahrung der Geschlechtlichkeit. Damit verbunden ist auch die Forderung, das Geschlecht als Kategorie in die Selbstreflexion der Philosophie und in das Ensemble der bestehenden Kategorien aufzunehmen.
Innerhalb des feministischen Denkansatzes gibt es keinen einheitlichen Begriff der feministischen Philosophie, sondern eine Reihe von zum Teil unterschiedlichen Definitionen und verschiedenen Richtungen. Sie wird als offenes Konzept verstanden, das in mancher Hinsicht noch in der Phase des Ausdrucks steckt und nicht eindeutig definiert werden kann. Da viele Teile der feministischen Philosophie auch mit grösseren feministischen Themen kommunizieren, lässt sie sich nicht in die Grenzen einer Disziplin pressen.

Sehr prägnant definiert Herta Nagl-Docekal die feministische Philosophie als Philosophieren am Leitfaden des Interesses an der Befreiung der Frau. Au§erdem wird die feministische Philosophie als radikale Infragestellung der herrschenden patriarchalen Lebens- und Denkform verstanden, die einen neuen Natur- und Wahrheitsbegriff anstrebt. Sie wendet sich dabei vor allem gegen die Gleichsetzung von Frau und Natur in der Philosophie, unter dem gleichzeitigen Ausschlu§ der Frauen aus dem Vernunft- und Subjektbegriff.
Methodisch arbeitet die feministische Philosophie in erster Linie interdisziplinär. Sie verwendet einen eklektischen Ansatz, der in verschiedenen Disziplinen verwurzelt ist und nicht auf eine bestimmte Richtung festgelegt werden kann.

Die Inhalte der feministischen Philosophie können grundsätzlich in zwei Richtungen unterteilt werden: Zum einen führt sie eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit den bestehenden Ansätzen der traditionellen Philosophie und zum anderen liegt ihr Schwerpunkt auf der Entwicklung alternativer philosophischer Theorien.
Innerhalb der ersten Richtung befassen sich die Philosophinnen mit der kritischen Analyse der Geschichte der Philosophie in dreifacher Hinsicht: sie untersuchen die Rolle der Frau und des Geschlechterverhältnisses in der Philosophie anhand von konkreten Aussagen. Weiterhin beschäftigen sie sich mit philosophischen Begriffen wie Wahrheit, Vernunft, Existenz, Tugend oder Wissen, die angeblich geschlechtsneutral sind, denen aber dennoch ein impliziter Sexismus zugrundeliegt. Schliesslich forschen sie nach den Philosophinnen der Geschichte, die durch die patriarchale Überlieferung meist ausgegrenzt und vergessen wurden.

Die feministische Philosophie ist keine neue philosophische Disziplin, sondern setzt sich mit allen Bereichen der traditionellen Philosophie auseinander. Innerhalb von Erkenntnistheorie und Metaphysik kritisiert sie die patriarchalen Dualismen und Dichotomien. Ausserdem beschäftigt sich das feministische Denken schwerpunktmässig mit den Bereichen ethische und politische Theorie sowie Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Neben der Auseinandersetzung mit den klassischen Disziplinen geht sie auch kritisch auf die grundlegenden Strukturen des Wahrnehmens, Sprechens und Denkens ein.

Der zweite inhaltliche Schwerpunkt der feministischen Philosophie ist, neben der kritischen Auseinandersetzung mit der traditionellen Philosophie, die Entwicklung alternativer feministischer Ansätze. Vertreterinnen dieser Richtung sehen das Ziel einer feministischen Philosophie nicht in der Veränderung der bestehenden philosophischen Disziplinen. Sie wollen vielmehr eine weibliche Philosophie als Alternative zur bestehenden männlichen einbringen.
Das Ziel ist die Entwicklung einer frauenzentrierten oder gynozentrischen Philosophie, die einhergeht mit der Ablehnung der traditionellen weiblichen Tugenden. Durchgeführt wird eine frauenbezogene Analyse, d.h. die Bedeutung, die Normalität und den Wert der weiblichen Erfahrung und der weiblichen Kultur sichtbar zu machen.
Ihr Schwerpunkt ist die Beschäftigung mit den Themen Vernunft, Geschlechterdifferenz und feministische Ethik, die allerdings nicht als separate Disziplinen der feministischen Philosophie verstanden werden dürfen. Sie bauen vielmehr aufeinander auf und überschneiden sich auch inhaltlich.

Gemeinsamer Nenner der feministischen Kritik an der phallozentrischen Philosophie ist in erster Linie der Protest gegen deren verschiedene Mechanismen der Frauenverachtung und -unterdrückung. Dazu gehört der Sexismus mit einer Reihe individueller oder kollektiver Handlungen, die Frauen diskriminieren. Seine Grundlage bildet das patriarchale System. Es schafft unterschiedliche Organisationsformen des Sozialen, der Ökonomie und der zwischenmenschlichen Beziehungen für Frauen und Männer. Ausserdem produziert es die patriarchale Spaltung in männlich=positiv und weiblich=negativ, die in der Philosophie auch mit der Dichotomie von Verstand und Gefühl ausgedrückt wird.
Abgerundet wird die Unterdrückungsmaschinerie durch den Phallozentrismus, der Theorien, Repräsentationen und diskursive Systeme schafft, die Frauen unterdrücken und von der Macht ausschliessen. Der Phallozentrismus entwickelt ein spezifisches Diskurssystem, das Strategien produziert, durch die beide Geschlechter in ein Modell des menschlichen man gezwängt werden, das eigentlich ein männliches mann meint. Durch diese Universalisierung kann das Weibliche nur noch in bezug zum Männlichen dargestellt werden.

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