Wissenschaftskritik

Eine theoretische Umsetzung der Vernunftkritik findet in der feministischen Wissenschaftskritik statt. Dabei zeigt sich, daß der patriarchale Begriff der Vernunft nicht nur im philosophischen Kontext relevant ist. Über die Einzelwissenschaften erhält er gesellschaftliche Bedeutung.
Feministinnen wie Hilary Rose, Jane Flax, Nancy Hartsock und Dorothy Smith haben die männlichen Muster und deren Gleichsetzung mit dem Attribut menschlich innerhalb der westlichen Wissenschaftstheorie und Metaphysik aufgezeigt. Charakteristisch dafür ist die Spaltung in Dichotomien wie Geist/ Körper, Verstand/Gefühl, öffentlich/privat oder männlich/weiblich, wobei der erste den zweiten Begriff dominiert. Diese Dualismen gelten als unsichtbare Ordnungsprinzipien, die in der geistigen Struktur, auch von Naturwissenschaften und Technik verankert sind.
Die patriarchale Wissenschaft rechtfertigt die Aufstellung dieser Gegensatzpaare mit ihrer Bedeutung für die Konstitution des menschlichen Lebens. Sie würden bewirken, daß das Leben nicht irrationalen Mächten ausgeliefert werden kann. Die feministische Kritik wirft nun den patriarchalen Wissenschaften vor, durch diese Hierarchie bewußt das Weibliche abzuwerten. Die Fixierung auf Gegensatzpaare mache die Gleichstellung von männlich und weiblich ebenso unmöglich, wie die von rational und irrational. Innerhalb der Naturwissenschaften entsteht so der Zwang, sich zwischen einem der beiden Pole zu entscheiden: entweder Objektivität oder deren Relativierung in der Subjektivität, entweder Allgemeines oder Individuelles, entweder Wissenschaft oder das Naturerleben.
Ihre Kritik der patriarchalen Wissenschaften beginnt die feministische Philosophie bei der Feststellung, dass die Problemstellungen, Begriffe, Theorien und Methoden der bestehenden Wissenschaften zwar als allgemein-menschlich gelten, diesen Anspruch jedoch nicht einlösen können. Vielmehr stehen auch sie im Kontext ihrer Entstehungsbedingungen, die mit der Klasse, dem sozialen Geschlecht und der Kultur verbunden sind. Auf dieser Grundlage zeigt die feministische Kritik, dass die Erkenntnisse und Interpretationen der Wissenschaften keine objektive Welt wiedergeben, sondern auf den gesellschaftlichen Kontext der ForscherInnen reflektieren.
Es ist das Ziel der feministischen Philosophie die Frauen und die weiblichen Standpunkte in den wissenschaftlichen Zusammenhang zu integrieren. Allerdings ist dieser Prozeß problematisch, da die Frauen ihr Wissen nicht einfach den bestehenden Wissenschaften hinzufügen können, solange diese nicht in der Lage sind, die Verschiedenheit des Weiblichen aufzunehmen. Es fehlt eine Symbolik, die auf die Geschlechtlichkeit des Subjekts eingeht, sowie spezielle Vermittlungsformen, die der weiblichen Erfahrung entsprechen und durch welche die Frau am wissenschaftlichen Arbeiten teilhaben kann.

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