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Philosophin des Monats Januar Hannah Arendt „Wo sind wir, wenn wir denken?“ Diese Frage hat Hannah Arendt ihren philosophischen Texten vorangestellt. Und sie zeigt, worum es ihr geht: Sie will den Abläufen im menschlichen Geist auf den Grund gehen. Denn die geistige Verarbeitung seiner Wahrnehmungen kennzeichnet den Menschen.Doch wer will seine Welt nicht nur erfassen, er will sie auch verändern. Deshalb ist das Handeln für Arendt die wichtigste Tätigkeit des Menschen. In „Vita Aktiva“ hat sie sich mit den verschiedenen Formen menschlicher Tätigkeiten befasst. Und sie kommt zu dem Schluss, dass die geistige Tätigkeit praktisch aus dem Leben der Menschen verdrängt wurde. Die modernen Arbeitsverhältnisse lassen ihm nur noch die Wahl zwischen produktiver Knechtschaft und unproduktiver Freizeit. Das freie Handeln, eigentlich die wichtigste Tätigkeit des Menschen, findet nicht mehr statt. Auszug aus: Die andere Philosophiegeschichte Vorangestellt ist dem Text Vita activa die Frage: »Was tun wir, wenn wir tätig sind?«34 Auf diesem Hintergrund zeigt Arendt drei menschliche Grundtätigkeiten auf, die zum aktiven Leben gehören: Arbeiten, Herstellen und Handeln. Jede dieser Tätigkeiten entspricht einer Grundbedingung des menschlichen Lebens. Arbeiten als biologischer Prozess ist für den Organismus lebensnotwendig; Herstellen ist ein schöpferischer Prozess und Handeln ist die Interaktion zwischen den Menschen. Das Handeln unterscheidet Arendt als gemeinsame Aktion grundsätzlich vom einsam beherrschbaren Prozess des Herstellens. In ihrer Darstellung der Geschichte des Lebens, der Arbeit und der Politik in den griechischen Stadtstaaten entwirft Arendt ein Bild des freien Menschen, wie es ihn nur in der griechischen Polis gegeben habe. Dieser habe sich mit anderen zum Handeln, also sprechen oder anderen Aktivitäten zusammengeschlossen. Die Menschen konnten Macht ausüben, da sie aus freiem Willen gemeinsam gehandelt haben. Hier zeigt sich auch Arendts Vorstellung von einer guten Regierung. Sie sollte auf jeden Fall pluralistisch sein und viele an ihren Prozessen beteiligen, im Idealfall alle, die von den gefällten Entscheidungen betroffen werden. Da der Mensch immer in der Pluralität, also mit anderen lebt, ein Aspekt den Arendt vom existenzphilosophischen In-der-Welt-Sein entlehnt, ist eine ständige Bezugnahme auf andere Menschen erforderlich. Die Vielfalt ist für Arendt notwendig, da das Handeln unterschiedliche Menschen braucht. Ein Teil dieser Pluralität ist auch die Differenz der Geschlechter. Persönlich hat sich Arendt nie besonders für frauenspezifische Themen interessiert, aber ihr blieb, obwohl sie oft von Männern gefördert wurde, die Problematik nicht verborgen. Der Anspruch auf gleiche Rechte für Frauen war ihr selbstverständlich, und sie stellte auch schnell die Ziele der Frauenbewegung und den Kampf für die Befreiung der Juden auf eine Ebene. Sie wollte aber ebenso wenig ihr Frausein aufgeben, wie die Juden ihr Judentum aufgeben sollten. In der Handlungstheorie wird auch Arendts Freiheitsbegriff relevant, denn die eigene Freiheit erfordert gleichzeitig die Freiheit der anderen. Ohne freiwillige Zustimmung, auch von außen, sei keine Handlung möglich. Und ohne Freiheit sei auch keine Macht möglich, da die Regierung ermächtigt werden müsse. Politik ist für Arendt der höchste Ausdruck der menschlichen Freiheit. Die Fähigkeit zu denken beschreibt Arendt als ein menschliches Grundvermögen. Und sie sei immer auch mit der Neigung verbunden, über die Grenzen des Offensichtlichen hinauszudenken, die Denkfähigkeit also nicht nur zum bloßen Handeln einzusetzen. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Welt als Erscheinung, also die Welt der natürlichen und künstlichen Gegenstände, in die der Mensch hineingeboren wird. Diese Gegenstände werden gesehen oder gefühlt, also von den Sinnesorganen wahrgenommen. Zwar gibt Arendt diesen Erscheinungen für alle Lebewesen eine Bedeutung, aber ihre Weiterverarbeitung im Geist sei das, was den Menschen von anderen unterscheidet. Allen Lebewesen gemeinsam sei der Drang, sich in diese Welt der Erscheinungen einzufügen, sich zu präsentieren. Die Voraussetzungen, um sich in der Welt der Erscheinungen zu bewegen, sind die geistigen Tätigkeiten, Denken, Wollen und Urteilen. Alle drei sieht Arendt als grundlegende Handlungen, die sich nicht voneinander ableiten lassen und nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Sie sind unabhängig und gehorchen eigenen Gesetzen. Gemeinsame Haupteigenschaft der drei geistigen Tätigkeiten ist ihre Unsichtbarkeit. Sie erscheinen nie, zeigen sich aber durch die Handlung, die sie bewirken. Und sie sind auf das Unsichtbare gerichtet. Darstellen können sie sich nur durch die Sprache. Weiteres gemeinsames Merkmal ist ihre Reflexivität, durch die sie auf sich selbst zurückwirken. Das Denken ist für Arendt keine direkte Reaktion auf die Sinneswahrnehmung. Dazwischen geschaltet ist die Tätigkeit der Vorstellungskraft, die die Gegenstände für das Denken aufbereitet. Getragen werde die Vorstellungskraft von der Erfahrung. Das führt Arendt zu dem Schluss, dass das Denken aus der Erfahrung entsteht, diese allein aber nicht in der Lage sei, einen Sinn oder Zusammenhang herzustellen. Die wichtigste Eigenschaft des Denkens ist der Rückzug aus der Welt der Erscheinungen. Sich vom Handeln zu distanzieren, ist die Bedingung des Denkens. Allerdings wird das Denken nur solange wahrgenommen, wie diese Tätigkeit dauert. Mündet das Denken nicht in eine Handlung, hinterlässt es keine Auswirkung auf die Welt. Denken ist die einzige Tätigkeit, die keine Hilfsmittel benötigt. Eine zentrale Fragestellung in Arendts Text lautet: »Was bringt uns zum Denken?«35 Dabei wird das menschliche Bedürfnis zu denken als gegeben vorausgesetzt, obwohl kein besonderer Zweck oder ein Endprodukt erkennbar sind. Unter den antiken Philosophen lieferte Platon die berühmteste Antwort, er meint, der Ursprung der Philosophie und damit auch der Anstoß zu denken ist das Staunen. Eine weitere zentrale Frage Arendts ist, »Wo sind wir, wenn wir denken?«36 An dieser Stelle kommt die zeitliche Dimension ins Spiel. Arendt stellt fest, dass das Denken außerhalb des gewöhnlichen Handelns steht, es unterbricht dieses. Zeitlich gesehen ist das denkende Ich sehr schwierig anzusiedeln. Arendt ortet es in der Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, die aber nicht mit der Gegenwart identisch ist, sondern auf das bereits Verschwundene und das noch nicht Erschienene reflektiert. Die Zeitlosigkeit des Denkens entsteht aus dem Zusammenprall von Vergangenheit und Zukunft. Durch die Reflexion werden die nicht gegenwärtigen Regionen in das Denken einbezogen. Denken kann so als Kampf gegen die Zeit bezeichnet werden, da es das Ich aus der Kontinuität des Alltags reißt. Den zweiten Teil des Textes Vom Leben des Geistes bezeichnet Arendt als den schwierigsten: »Das Wollen scheint unendlich viel mehr Freiheit zu besitzen als das Denken, das auch in seiner freiesten, spekulativsten Form dem Gesetz der Widerspruchsfreiheit nicht entgehen kann. Diese unleugbare Tatsache ist vom Denken der Menschen nie als reiner Vorzug empfunden worden, sondern eher als Fluch.«37 Gemäß ihrer Vorliebe für die griechische Polis beginnt Arendt auch diese Untersuchung mit der antiken Philosophie, die nach ihrer Meinung den Willen als Phänomen nicht kannte. Wichtigster Repräsentant der willenlosen Polis ist Aristoteles, der mit seinem Begriff proairesis (die freie Wahl) den Vorläufer des Begriffes Wille entwickelte und damit den Willen als philosophischen Begriff möglich machte. Dieser Begriff bei Aristoteles wird übersetzt mit: was ist und nicht sein kann, also das, was nicht zum Wesen gehört. Arendts Untersuchung führt dann über die Denker des 17. Jahrhunderts zu Kant, der den Willen zur Triebfeder des Handelns erklärte. Repräsentanten der neuzeitlichen Willensphilosophie sind natürlich Nietzsche und Schopenhauer, aber auch Schiller, der sagt: »Es gibt in dem Menschen keine andere Macht als seinen Willen.«38 Im Gegensatz zum Denken, das sich am Gegenwärtigen orientiert, sieht Arendt den Willen als schwerer fassbar an, denn er ist auf Zukünftiges bezogen. Grundlage des geplanten dritten Teils, Das Urteilen, ist Kants Begriff der Urteilskraft, den Arendt in ihrer Vorlesung über seine politische Philosophie ausführte, denn hier tritt die Unterscheidung zwischen Denken und Urteilen auf. Die Urteilskraft sieht Arendt als geheimnisvollste geistige Tätigkeit, da sie das Allgemeine, also die geistige Konstruktion, und das Besondere, also die Sinneserfahrung, zusammenbringt. Sie sei ein besonderes Talent, das nicht im Verstand enthalten ist und Kant der einzige große Philosoph, der sich bisher mit dem Urteilen als menschlicher Grundfunktion befasste. Urteilskraft setzt Arendt nicht mit der praktischen Vernunft gleich, denn sie gibt keine Gesetze vor oder sagt, was gut ist. Das Urteil entsteht aus der Betrachtung, bei Kant betrachtendes Vergnügen, oder Geschmack, deshalb hieß seine Kritik der Urteilskraft ursprünglich Kritik des Geschmacks. Für Arendt ist der eigentliche Zweck des menschlichen Lebens die Pluralität, die Geselligkeit. Die Anwesenheit der Mitmenschen wird Voraussetzung für das Handeln im öffentlichen Raum. Arendt geht aber über Kants Vorgaben hinaus und zielt auf die ontologische Funktion des Urteilens. Die Urteilskraft ist dann nötig, um in der Zeit der Haltlosigkeit seinen Platz in der Welt zu finden. Arendts politische Philosophie hat eine große Breitenwirkung erreicht und wird noch immer von feministischen und anderen Philosophinnen untersucht. Ein Grund für das allgemeine Interesse ist sicherlich auch Arendts politisches Engagement, dass sich beispielsweise in ihrem umstrittenen Bericht über den Eichmann-Prozess in Israel zeigte, den sie für die Zeitschrift New Yorker beobachtete. So ist auch Arendts Handlungstheorie auf dem Hintergrund der Naziherrschaft zu sehen, einer Zeit, in der das menschliche Handeln auf besondere Weise gelenkt und ideologisch missbraucht worden ist. |
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