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Philosophin
des Monats Januar
Tullia d'Aragona
Kurtisane, das ist der Ausdruck, der am
häufigsten auftaucht, wenn in der Literatur von Tullia
D'Aragona die Rede ist. Und inzwischen ist auch nachgewiesen, dass sie
diesem Gewerbe nachgegangen ist.
Da sie sich damit in den besten
gesellschaftlichen Kreise bewegte, verwundert es nicht, dass sie sehr
gebildet war. So kann sie sicherlich eine der schillerndsten
Frauen der
italienischen Renaissance angesehen werden. Und sie hat als eine der
wenigen
Renaissance-Humanistinnen eine geschlossene philosophische Abhandlung
hinterlassen, deren Bedeutung unbestritten ist.
Ihr Dialog Über
die Unendlichkeit der Liebe
nimmt nicht nur das zu d’Aragonas Zeit bekannte Denken und
deren
Autoren auf, sondern stellt übergreifende
Überlegungen zum
Verhältnis von Rhetorik und Logik, zur Verbindung zwischen
platonischer und aristotelischer Philosophie und zur Diskussion der
Begriffe Unendlichkeit und Unsterblichkeit sowie zum Liebesideal
Petrarcas an.
Auszug
aus: Ursula I. Meyer: Humanistinnen, Aachen 2014
D’Aragonas
Geburtsjahr ist unsicher; in der Forschung wird angegeben, dass sie
entweder 1508 oder 1510 in Rom geboren wurde. Offiziell war sie
einfacher Herkunft, ihr Vater hieß Costanzo Palmieri. Doch sie war
wohl die illegitime Tochter von Kardinal Pietro Tagliavia d’Aragon,
Erzbischof von Neapel, und der Geliebte ihrer Mutter Giulia
Ferrarese. Überliefert ist, dass sie als Kind in, wahrscheinlich
durch ihren biologischen Vater, gesicherten finanziellen
Verhältnissen lebte, die ihr wissenschaftliche Studien ermöglichten.
Bereits
in jungen Jahren erstaunte sie die Besucher ihrer Mutter mit ihren
Kenntnissen in Latein und ihrer umfangreichen Bildung in den
Bereichen Literatur und Philosophie. Auch ihr Aussehen, ihr Auftreten
in der Gesellschaft und ihre musischen Fähigkeiten wurden gerühmt
und sie hatte zahlreiche Verehrer.
Die
meiste Zeit ihres Lebens verbrachte d’Aragona in Rom, wo sie aktiv
am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben der Patrizier teil
nahm, im Gegensatz zu ihren verheirateten Geschlechtsgenossinnen, die
meist davon ausgeschlossen waren. Als Witwe stellte sie sich unter
den Schutz von Eleonore von Toledo, mit deren Unterstützung sie ein
Buch mit Reimen und Gedichten veröffentlichte, die zum einen Teil
von ihr und zum anderen von ihren Verehrern verfasst worden waren.
Außerdem schrieb sie ihr heute bekanntestes Werk, den Dialog Über
die Unendlichkeit der Liebe.
1547 erschien der Text zum erstenmal in Florenz, er war Cosimo I.,
Großherzog der Toskana, gewidmet und wurde von Benedetto Varchi
durchgesehen, einem bekannten Humanisten, der Vorlesungen an der
Akademie in Florenz hielt. Varchi ist auch der wichtigste
Gesprächspartner d’Aragonas in dieser Diskussion.
Dass
d’Aragona sich so ausführlich dem Thema Liebe widmete, hat
sicherlich mit ihrem Lebenswandel zu tun, denn sie ist als eine der
berühmtesten Kurtisanen in die Geschichte eingegangen. Sie war
scheinbar eine ausgesprochen attraktive Frau, auch wenn Zeitgenossen
überliefern, dass sie eigentlich nicht dem gängigen Schönheitsideal
entsprach. Am Faszinierendsten waren wohl ihre Augen, die als
besonders lebhaft und sprühend beschrieben wurden. Und diese
körperlichen Vorzüge und deren Wirkung auf Männer, setzte
d’Aragona sehr zielgerichtet ein. Zu ihrem Freundeskreis gehörten
bekannte Dichter wie Guilio Camillo, Francesco Maria Molza, Kardinal
Hypolitos de Medici, Ercole Bentivoglio, Filippo Strozzi, Muzio
Lattanzio Benucci, Benedetto Varchi sowie Girolamo Muzio und Pietro
Manelli, die sie nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch wegen
ihres Intellektes und ihrer ausgefeilten Gesprächsführung
verehrten.
Durch
ihre Herkunft war d’Aragona für die Rolle der Kurtisane
prädestiniert, denn auch ihre Mutter Giulia gilt als berühmte
Kurtisane. 1526 gingen beide Frauen nach Rom, wo sie schnell genügend
Verehrer anzogen, um ihren Haushalt zu finanzieren.
Beleg
für ihre Arbeit ist eine Liste der Kurtisanen und ihrer Bewunderer,
die vom bekanntesten Zuhälter dieser Zeit, einem gewissen Zoppino,
überliefert ist. Darin taucht d’Aragona im Alter von 18 Jahren
auf. Sie war damals schon sehr bekannt und hatte eine Reihe von
jungen Verehrern aus angesehenen römischen Familien.20
Finanzielle
Probleme bekamen die Frauen durch die Plünderung Roms, die als Sacco
di Roma,
in die Geschichte eingegangen ist. 1527 zogen deutsche Landsknechte
und Söldner plündernd durch Rom und den Kirchenstaat. Anschließend
wurden enorme Steuern erhoben, die sicher auch Tullia und Giulia ihre
ganzen Ersparnisse kosteten.
Zwischen
1545 und 46 versuchte d’Aragona, inzwischen in Florenz, in ihrem
Haus eine neue Form der akademischen Gesellschaft unter weiblichem
Vorsitz zu etablieren. Ihr Plan, dies zu einer festen Einrichtung zu
machen, misslang jedoch.
Zeitweise
war sie mit ihren Gedichten, Rime,
und
ihrem Dialog
recht erfolgreich und bekannt, dennoch starb sie 1556 schließlich
verarmt in Rom.
Die
Arten der Liebe
Als
d’Aragonas Hauptwerk gilt der in Dialogform verfasste Text Über
die Unendlichkeit der Liebe.
Nach dem platonischen Vorbild war der Dialog im 16. Jahrhundert eine
sehr beliebte literarische Ausdrucksform, mit der philosophische
Inhalte, aber auch das Wissen der Beteiligten dargestellt wurden.
D’Aragonas Text erfüllt die zentralen Bedingungen eines guten
Dialogs, nämlich lehrreich und gleichzeitig unterhaltsam zu sein und
passt somit zur Literatur der damaligen Unterhaltungskunst.
Inhaltlich bezieht sich d’Aragonas Dialog
auf Platons Symposion
und den Phaidros,
ebenso auf die zeitgenössischen Autoren Marsilio Ficino, Sperone und
Kardinal Bembo. Vor allem Bembo, der selbst mit seiner Lyrik auf
Petrarca und die Neuplatoniker zurückgriff, hatte großen Einfluss
auf d’Aragonas Werk.
Der
Dialog
gibt ein reales oder fiktives Gespräch zwischen d’Aragona und dem
Philosophen Varchi wieder, ein weiterer Teilnehmer im Hintergrund ist
Muzio Lattanzio Benucci. Sie selbst schreibt sich die Rolle der
Schülerin zu, die Fragen stellt, die dann von Varchi beantwortet
werden. Allerdings durchzieht diese Rollenverteilung nicht starr den
gesamten Text, sondern wechselt. Natürlich versäumt d’Aragona
nicht, ihre eigene Gelehrtheit herauszustellen, und die Bedeutung
ihres Dialogpartners Varchi als Philosoph zu betonen. Je deutlicher
diese wurde, um so stärker wertete sie auch d’Aragonas Position
auf.
Inhaltlich
greift d’Aragona die Frage nach dem Schönen und Guten in
Verbindung mit der Liebe auf und reflektiert in platonischer Manier
das Problem des Verhältnisses zwischen geliebtem und liebendem Teil.
Ansatzpunkt ist die Frage, ob Liebe unendlich sein müsse, oder ob es
möglich wäre, mit Maß und Grenze zu lieben. Varchi wird von
d’Aragona als Fachmann in dieser Frage angesprochen. Er führt den
Beweis dafür, dass Liebe kein Ende kenne, indem er auf den
Unterschied zwischen dem Substantiv Liebe
und
dem Verb lieben
reflektiert.
Anhand grammatisch-logischer Überlegungen kommt d’Aragona zu dem
Schluss, dass Liebe
als Substantiv, dem Verb lieben
gegenüber eine höhere Stellung zukommen müsse und stimmt so mit
Varchi der aristotelischen Theorie von der Überlegenheit der
Substanz
(Nomen) über das Akzidenz
(Verb) zu.
Ein
entscheidendes Umdenken erfolgt hinsichtlich der platonischen
Bewertung, dass dem liebenden Teil der höhere Rang als dem geliebten
zukomme. D’Aragona räumt nämlich dem geliebten Teil den größeren
Wert ein und belegt dies am Beispiel Gottes, der Liebender und
Geliebter zugleich ist. Der geliebte Teil könne nicht allein als
Wirkursache gelten, wie der liebende, sondern müsse auch als Zweck
und Ziel verstanden werden. Das Ziel wiederum werde als edelster
Grund angesehen, und deshalb komme, so d’Aragona, dem geliebten
Teil der höhere Rang zu.
Verschiedene
Exkurse führen das Gespräch weiter zu den Fragen, ob die Seele
allein oder zusammen mit dem Körper als edler einzustufen und wie
die Liebe zu definieren sei. Den Begriff der Liebe beschreibt
d’Aragona als das »Verlangen, sich der Gemeinschaft dessen zu
erfreuen, der entweder in Wahrheit schön ist oder dem Liebenden doch
so scheint.«21
Sie definiert somit die Schönheit als Ursprung der Liebe, als deren
Mutter, die Vaterstelle wird der Erkenntnis dieser Schönheit
zugeschrieben.
Zentral
bleibt die Kernfrage d’Aragonas an Varchi, ob die Liebe endlich
sein könne. Er antwortet, dass die Liebe kein Ende und Ziel hätte,
dass Liebe und Lieben nur der Zeit nicht der Substanz nach
unterschiedlich seien. D’Aragona räumt ein, dass es Liebende gäbe,
die liebten, um ein Ziel zu erreichen, und wenn sie dies geschafft
haben, aufhören würden, zu lieben. Varchi entgegnet ihr, dass dies
keine wirklich Liebenden und keine echte Liebe sein könne. Die Liebe
müsse die Ursache des Liebens sein, nur dann sei sie unendlich und
dürfe als Liebe bezeichnet werden. D’Aragona resümiert
schließlich, dass es zwei Arten von Liebe geben müsse: »die eine
nenne ich gemein und unehrenhaft; die andere aller Ehre würdig oder
tugendhaft.«22
Die erste Form, wird durch das Verlangen hervorgerufen, den
Gegenstand der Leidenschaft zu besitzen. Diese Liebenden vergleicht
d’Aragona mit wilden Tieren, die nur nach ihren Leidenschaften
leben. Wer auf diese Weise liebt, hat ein Ziel vor Augen, wenn es
erreicht wird, verwandelt sich die Liebe oft in Hass. Die ehrenvolle
und tugendhafte Liebe dagegen gesteht sie nur edlen Geistern zu, die
sich durch »Tugend und Adel der Gesinnung« auszeichnen. Eine solche
Liebe wird auch nicht durch Leidenschaften hervorgerufen, sondern
durch die Vernunft. Das Ziel einer tugendhaften Liebe besteht darin,
sich in den Gegenstand der Liebe zu verwandeln, um so zu einer
Verschmelzung zu gelangen. Diese Vereinigung findet aber auf einer
rein geistigen Ebene statt, da die tugendhafte Liebe keine
körperlichen Leidenschaften zulasse. D’Aragona übernimmt hier das
platonische Ideal der Liebe, betont aber, im Gegensatz zu Platon,
dass auch Frauen zu einer solchen unendlichen Form der Liebe fähig
seien. Mit Varchi ist sie der Meinung, dass die Annahme falsch ist,
Frauen seien nicht in der Lage, tugendhaft zu lieben, und
argumentiert, dass Frauen, würden sie nicht ebenso wie die Männer
eine vernunftbegabte Seele besitzen, wohl kaum derselben Gattung
angehören könnten.
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